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Es gibt eine einfache Erklärung, die aber nicht ganz richtig ist: Betrachten wir der
Einfachheit halber nur die Blaszunge, bei der Ziehzunge ist alles sinngemäß genau so. Die Blaszungen sitzen auf
der Innenseite der Mundharmonika. Man kann sich nun vorstellen, dass die Blaszunge durch den Blasdruck in den
Stimmzungenschlitz gedrückt wird und anschließend durch ihre Federkraft wieder herauskommt. Der Wechsel dazwischen
wäre dann die Schwingung. Dieses Bild ist aber falsch: Es würde sich ein Gleichgewicht einstellen zwischen
Blasdruck und Federkraft, und die Stimmzunge würde im Schlitz stecken bleiben, bis der Blasdruck aufhört, es
käme nicht zu einer Schwingung. Diesen Fall gibt es tatsächlich, wenn der Lösabstand zu klein eingestellt
ist.
Schnitt durch eine Mundharmonika während verschiedener Phasen der Schwingung
(schematisch; siehe auch meine "Kleine Mundharmonikakunde")
Luftstrom
Hydrostatischer Druck
Hydrodynamischer Druck |
Eine korrektere Erklärung ist etwas komplizierter: zusätzlich zum Blasdruck, der ein
sogenannter hydrostatischer Druck ist, gibt es auch noch einen hydrodynamischen Druck, der immer dann entsteht, wenn sich ein
Fluid (in diesem Falle Luft) auf einer Seite eines Gegenstandes schneller bewegt als auf der anderen. Dieser Effekt, der nach
dem Schweizer Physiker Daniel Bernoulli (1700 - 1782) benannt ist, wirkt in der Weise, dass auf der Seite, wo sich die Luft
schneller bewegt, der Druck geringer ist. Dies ermöglicht unter anderem, dass Flugzeuge fliegen, denn sie werden
gewissermaßen von dem Unterdruck, der auf der stärker gewölbten Oberseite ihrer Flügel herrscht, nach
oben gezogen – vorausgesetzt, die Luft umströmt die Flügel schnell genug. Doch genau genommen ist auch diese
Erklärung noch nicht ganz korrekt, die wirklich richtige Beschreibung benötigt aber viel Mathematik in Form der
sogenannten Navier-Stokes-Gleichungen, die es zu lösen gilt. |
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Ähnliches geschieht bei der Blaszunge: auf ihrer Außenseite bewegt sich die
eingeblasene Luft schneller, weil sie hier entweichen kann. Dadurch entsteht dort ein Sog, der die Stimmzunge in den Schlitz
hinein zieht. |
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Das geht so lange, bis sich die Zunge ganz im Schlitz befindet und so den Luftstrom ziemlich
plötzlich unterbricht. Dann hört dieser Druck auf zu wirken. Jetzt erst kommt die Federkraft zur Wirkung, die die
Stimmzunge wieder in ihre Ausgangslage zurück zu drücken versucht. |
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Dann gibt die Stimmzunge den Schlitz wieder frei und es kann sich ein neuer Luftstrom
ausbilden. |
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Dabei wird die Stimmzunge durch ihre Federkraft beschleunigt, und weil sie aufgrund ihrer
Masse eine Trägheit besitzt, schwingt sie über ihre Ruhelage hinaus. Dadurch wird die Spaltbreite größer,
als sie am Anfang war. Bei zunehmender Spaltbreite zwischen Stimmzungenspitze und Stimmplatte steigt auch wieder die
Geschwindigkeit der Luft, es stellt sich ein entsprechender hydrodynamischer Druck ein, und das Spiel beginnt von vorne.
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Das Gleiche gilt, wie gesagt, sinngemäß und mit teilweise umgekehrten Vorzeichen,
für die Ziehzungen. |
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Weil neben der Elastizität der Stimmzunge, die die Federkraft bestimmt, auch die
Massenträgheit der Stimmzunge eine Rolle spielt, spielt sich das Ganze bei oder zumindest in der Nähe der
Eigenresonanzfrequenz der Stimmzunge ab. |
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Genaugenommen hat eine Stimmzunge mehrere Eigenresonanzfrequenzen, schwingt aber in der
Regel bei "normalem" Gebrauch nur auf der niedrigsten. Weitere mögliche Eigenschwingungen kann man numerisch berechnen
(siehe dazu auch meine Ergebnisse); sie spielen bei Nebengeräuschen (Quietschen, Klingeln) sowie
vermutlich bei der Overbending-Technik eine Rolle. |
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Die Luftströmung um eine Stimmzunge samt Stimmplatte und Kanzelle ist auch schon
numerisch simuliert worden (Link). Die Wechselwirkung der strömenden Luft mit der Stimmzunge (Fluid-Struktur-Wechselwirkung) wurde dabei
aber anscheinend nicht mit einbezogen. Hier gäbe es also noch Simulationsbedarf. |
Immer wieder werde ich darauf angesprochen, dass die Blaszungen in einer Mundharmonika anders
herum sitzen, also mit dem "Stiefel" näher an der Einblasöffnung und der Spitze weiter davon entfernt. Das trifft
aber in der Praxis nicht auf alle Mundharmonikas zu! In der Tat ist die Anordnung bei allen(?) Hohner-Mundharmonikas anders
herum als auf meinen Zeichnungen, aber von anderen Herstellern (Seydel, Hering, Suzuki, Huang) gibt es durchaus
Mundharmonikas, insbesondere chromatische, deren Stimmzungen so angeordnet sind wie auf meinen Skizzen.
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Die Inhalte dieser Kleinen Mundharmonikaphysik finden sich auch - ausführlicher und aktualisiert
- in meinem 2022 erschienenen Mundharmonikabuch.
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