Klaus RohwerStartseite privat Hobbies... Mundharmonika: Jazz |
Batida DiferenteMaurício Einhorn, die Mundharmonika und die Bossa Nova Es war beim World Harmonica Festival 1997 in Trossingen, in der Pause der ersten Abendvorstellung. Ich stand in der Schlange bei der Getränkeausgabe, als sich vor mir plötzlich ein Mann umdrehte und mich fragte - auf Englisch mit amerikanischem Akzent - wo man denn noch etwas zu Essen bekommen könnte. Das Belegte-Brötchen-Büffet war gerade abgeräumt worden, und so versuchte ich ihm den Weg zur nächsten Pizzeria zu erklären, was wegen der zahlreichen Baustellen - wer da war, erinnert sich mit Grausen - auch für Fußgänger nicht ganz einfach war. Nein, nein, wehrte der Mann ab, das würde alles zu lange dauern, er hätte nachher seinen Auftritt. Beim ausschenkenden Hausmeister angekommen, verhandelte ich mit diesem, und er versprach, wenigstens noch Kuchen zu besorgen. Der Mann aus der Schlange bedankte sich und wandte sich seinem Begleiter zu, während ich mich wieder in den Saal begab, um den zweiten Teil der Abendvorstellung zu erwarten. Er war anscheinend kein US-Amerikaner, denn er sprach zwar gut Englisch, hatte aber einige Vokabeln nicht verstanden und bei seinem Begleiter nachgefragt. Und er hatte gleich seinen Auftritt - da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: das konnte nur einer sein! Maurício Einhorn wird 1932 als Sohn österreichischer Einwanderer in Rio de Janeiro, Brasilien, geboren. Seine Eltern spielen beide Mundharmonika. Mit fünf Jahren bekommt auch Maurício eine Mundorgel - und läßt sie nicht mehr los. "Ich ging sofort ins Badezimmer, weil mir der echohafte Klang dort so gut gefiel, und ungefähr eine halbe Stunde später konnte ich schon die erste kleine Melodie spielen." Bereits mit Zehn tritt er im Radio auf. Zunächst ist Borrah Minevitch sein Vorbild, und er schließt sich 1945 den Brasilian Rascals an, mit denen er in Clubs und im Rundfunk auftritt und 1949 seine erste Schallplatte aufnimmt. Doch schon lange hört Maurício auch immer wieder Jazz, und schließlich wendet er sich ihm auch als Musiker zu. Ab 1954 spielt er regelmäßig in der Bar des Hotels Plaza in Rio und im dortigen Rundfunksender Mayrink Vega. Als 1957 die Bossa Nova aufkommt, ist Maurício mitten drin - als Solist, als Begleiter und vor allem auch als Komponist. Er schreibt unzählige Stücke - z. B. Batida diferente ("Der andere Rhythmus"), Estamos ai, Tristeza de nos dois, Jóia, Alvorada, Sambop - die auch von so bekannten Jazzmusikern wie Cannonball Adderley, Hubert Laws und Herbie Mann, ja sogar vom erfolgreichsten aller Bossa-Komponisten, Carlos Antonio "Tom" Jobim, gespielt werden. Maurício wird mehrmals in die USA eingeladen, um seine Jazz Samba, wie man die Bossa Nova dort damals noch nennt, vorzustellen. Er nutzt die Gelegenheit und spielt mit vielen Größen des Jazz wie Jim Hall, Ron Carter, Richard Kimball, David Sanborn, Monty Alexander, Romero Lubambo, Barney Kessel, Chuck Mangione, Fred Hersch, Paquito D'Rivera, Joe Carter - sein Begleiter in Trossingen - und auch mit Toots Thielemans. Die Liste der brasilianischen Musiker, mit denen er zusammen gespielt hat, ist natürlich noch viel länger, aber nur relativ wenige davon sind auch in Europa bekannt: allen voran Tom Jobim, Baden Powell, Edu Lobo und Sebastião Tapajós. Häufig begleitet er Sängerinnen und Sänger wie Bobby McFerrin, Helen Merrill, Nina Simone, Sarah Vaughan oder Elis Regina. Als Solist wird Maurício Einhorn geschätzt wegen seiner kreativen Improvisationen und Interpretationen, aber auch als Begleiter hat er einen unverwechselbaren Sound. Dazu trägt auch ein technisches Mittel bei, das er souverän beherrscht: das Oktavspiel. Mittlerweile ist Maurício mehr als sechs Jahrzehnte musikalisch aktiv und damit einer der eifrigsten Mundharmonikaspieler und einer der kreativsten Komponisten für dieses Instrument. Er spielt hauptsächlich die Super-64-X-Chromonicas (Modelle 7582 und 7584) sowie die Super-48 (Modell 270) von Hohner. Neue Instrumente läßt er zunächst von Jehovah Tavares de Lucena - nach seinen Worten ebenfalls ein ausgezeichneter Harmonikaspieler - in Recife, Pernambuco (Brasilien), nachstimmen und anpassen. Als Mikrofon bevorzugt er das gute alte Shure SM58, und als Verstärker einen Roland Super Cube 60 - allerdings nur bei kleinen Auftritten wie etwa in Clubs. Vor größerem Publikum, wo er mit PA auftritt, legt er Wert auf einen Toningenieur, der "auf meinen Geschmack vertraut und weder die Ohren der Zuhörer noch die meinen unterschätzt", soll heißen: nicht zu laut, wenig Höhen, wenig Hall! Der Auftritt von Maurício Einhorn und Joe Carter in Trossingen 1997 war leider recht schlecht besucht (der Harmonica Player Nr. 6 berichtete). Wegen der zahlreichen Zugaben der vorangegangenen Musiker war es schon ziemlich spät geworden, und so waren schon viele Zuhörer zur Blues Session im Canapé abgewandert, andere ins Bett. Außerdem muss man auch zugeben: Maurício Einhorn ist in Europa einfach nicht bekannt genug; viele konnten mit dem Namen gar nichts anfangen. Nach Ende des Konzerts ging ich zu Maurício und entschuldigte mich, dass ich ihn vorher in der Schlange nicht erkannt hatte - doch auch ich hatte ihn bis dahin nur einmal abgebildet gesehen: ein Foto aus jungen Jahren in dem Buch "Die Mundharmonika - ein musikalischer Globetrotter". Dann fragte ich ihn, ob er Linkshänder sei, denn mir war aufgefallen, dass er die Chromatische mit dem Schieberknopf (und den hohen Tönen) nach links hält. Maurício verneinte: er habe, weil er es nicht besser wusste, als Kind so angefangen - und es nie mehr geändert. Diskographie:
Literatur:
Für Übersetzungen aus dem Portugiesischen danke ich Micaela Tourrucôo (Ulm) und Jens Rohwer (Uetersen). Dieser Beitrag war die Grundlage für den deutschsprachigen Wikipedia-Artikel über Maurício Einhorn. |
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(c) 1999 Klaus Rohwer; die Abbildungen stammen aus dem Internet. |